Digital resources in the Social Sciences and Humanities OpenEdition Our platforms OpenEdition Books OpenEdition Journals Hypotheses Calenda Libraries OpenEdition Freemium Follow us

„Wehrhafte Demokratie im Stuttgart der Weimarer Republik“ – Ein neues Forschungsprojekt am Stadtarchiv Stuttgart

Auf Beschluss des Gemeinderats wurde im letzten Doppelhaushalt der Landeshauptstadt eine auf drei Jahre befristete 50%-Stelle geschaffen, deren Aufgabe es ist, eine wissenschaftliche Studie zur Geschichte Stuttgarts in der Weimarer Republik zu erarbeiten. Insbesondere soll die Arbeit dabei untersuchen, ob die politischen Gegensätze und Konflikte in Stuttgart wesentlich weniger schroff wahrgenommen wurden und gewaltfreier ausgetragen wurden, als in anderen Städten und Regionen des Deutschen Reiches.

Seit 1. Juli 2024 ist Dr. Sebastian Rojek bei uns und bearbeitet das neue Forschungsprojekt. Wir haben ihm ein paar Fragen gestellt und möchten ihn und das neue Projekt auf diese Weise vorstellen:

Können Sie sich kurz vorstellen und vor allem die die bisherigen Stationen Ihrer wissenschaftlichen Laufbahn darstellen? Was haben Sie bislang gemacht?

Ich habe an der Universität zu Köln Mittlere und Neuere Geschichte, Deutsche Philologie und Klassische Literaturwissenschaft studiert. Nach dem Magisterabschluss konnte ich an die LMU München wechseln, um habe dort in einem Forschungsprojekt zur Bedeutung von Erwartungsweckung und Enttäuschungserfahrungen im 20. Jahrhundert zu arbeiten. Im Zuge dessen bin ich mit einer Studie zur deutschen Marine promoviert worden. (Versunkene Hoffnungen. Die Deutsche Marine im Umgang mit Erwartungen und Enttäuschungen 1871–1930, Berlin/Boston 2017). Anschließend hat es mich an die Abteilung für Neuere Geschichte an der Universität Stuttgart verschlagen. Hier habe ich unter anderem in einem größeren Kooperationsprojekt gemeinsam mit der Universität Heidelberg zum Übergang zwischen Diktatur und Demokratie nach 1945 mitgearbeitet. In diesem Kontext ist eine Monographie zur Geschichte der Entnazifizierung entstanden (Entnazifizierung und Erzählung. Geschichten der Abkehr vom Nationalsozialismus und vom Ankommen in der Demokratie, Stuttgart 2023.) Neben den beiden Monographien habe ich Aufsätze zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts vorgelegt, die sich einer Kulturgeschichte der Politik, der Militärgeschichte sowie der historischen Semantik bzw. der Begriffsgeschichte zuordnen lassen.

Können Sie uns mehr über Ihr Projekt im Stadtarchiv erzählen? Was hat Sie daran als Historiker gereizt?

Es lässt sich wohl kaum leugnen, dass demokratische Systeme gegenwärtig sowohl global als auch in Deutschland selbst vor enormen Herausforderungen stehen. Die Weimarer Republik bildet seit Jahrzehnten das zentrale Paradigma einer herausgeforderten Demokratie: die demokratischen Auf- und Abbrüche in Staat und Gesellschaft zwischen 1918 und 1933, finden deshalb immer wieder das Interesse von Geschichtswissenschaft und Öffentlichkeit. An dem Projekt interessiert mich insbesondere die Rolle und Bedeutung politischer Gewalt sowie Konzept und Praxis einer „wehrhaften Demokratie“. Mit dem Fokus auf eine bedeutende Großstadt im deutschen Südwesten, verbindet sich die Hoffnung, diesen Raum als Sonde nutzen zu können, um zentrale Entwicklungen auszuleuchten. Denn in der Landeshauptstadt, die hinsichtlich des Umgangs mit politischen Konflikten und Straßengewalt bislang eher schlecht untersucht ist, überschnitten sich nicht nur die Ebenen von Land und Kommune, sondern zugleich wirkten hier bedeutende Politiker wie Theodor Heuss oder Kurt Schumacher. Die Forschung zur Weimarer Straßengewalt hat sich bisher vor allem auf Preußen und hier auf Berlin fokussiert, während andere Regionen weniger gut untersucht sind. Es erscheint mir von daher reizvoll, die Forschungslandschaft auch in dieser Hinsicht zu ergänzen, damit ein komplexeres Bild der Weimarer Republik auch jenseits von Preußen oder der Reichshauptstadt gezeichnet werden kann.

Ankündigung der Feier des Jahrestages der Deutschen Reichsverfassung für den 11. August 1923 im Amtsblatt der Stadt Stuttgart, aus: Stadtarchiv Stuttgart, Bestand 10 – Depot A Nr. 1052

Wie ist gehen Sie in Ihrem neuen Projekt vor? In welcher Phase befinden Sie sich gerade?

Gegenwärtig befindet sich das Projekt noch in einer Phase, in der es erst einmal darum geht, die historischen Quellen zu sichten und zu sammeln. Methodisch orientiere ich mich an der Kulturgeschichte der Politik ebenso wie an der Gewaltsoziologie im Anschluss an Konzepte des Freiburger Soziologen Heinrich Popitz. Im Idealfall lassen sich verschiedene Kommunikationsräume hinreichend dicht rekonstruieren, in denen die Zeitgenossen über ihre Demokratie, deren Zukunft und Ausgestaltung stritten. Zu diesen Kommunikationsräumen gehören vor allem die Debatten innerhalb der städtischen Gremien – teilweise auch des Landtags – die lokalen Medien sowie die Politik auf der Straße, die sich in Umzügen, Demonstrationen, Feierlichkeiten sowie militanten Auseinandersetzungen ausdrückte.

Und gibt es schon erste Ergebnisse?

Alle Ergebnisse stehen selbstverständlich noch unter dem Gebot einer gewissen Vorläufigkeit. Aber was sich bereits jetzt abzeichnet, ist, dass die gelegentlich durch die Forschungsliteratur geisternde These einer weitgehenden Gewaltlosigkeit der politischen Auseinandersetzungen in der Neckarstadt, sich kaum mit der Faktenlage in Einklang bringen lässt. Die lokalen Zeitungen sind mindestens ab Ende der 1920er Jahre voll von Berichten über Schlägereien, Schießereien, Überfällen und Versammlungssprengungen. Die Vorstellung, Stuttgart sei eine Insel der Seligen gewesen, trifft auch kaum die Wahrnehmung der Zeitgenossen, denn diese thematisierten und skandalisierten diese Gewalt immer wieder. Es überrascht nicht, dass die Verantwortungszuschreibung für diese Zustände auf Stuttgarts Straßen je nach parteipolitischem Standpunkt variierten, aber dass es diese Gewalt gab, war unumstritten. Eher selten finden sich in den bisher gesichteten Quellen Abgrenzungen, etwa derart, dass die Zustände in Stuttgart weniger gravierend seien, als in anderen Teilen des Reiches. Vielmehr erscheinen die Krawalle und Gewaltereignisse, insbesondere zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, als Teil einer reichsweit ausgetragenen politischen Auseinandersetzung.

Marsch der Reichsbanner Ortsgruppe Stuttgart durch die Stuttgarter Innenstadt im August 1931 (hinter den Trommlern in Zivil Kurt Schumacher). Foto: Stadtarchiv Stuttgart, 9200 Fotosammlung F 56913.

Dr. Sebastian Rojek und das Blog-Team werden in unregelmäßigen Abständen über den Fortgang des Projekts berichten und besondere Quellenfunde vorstellen.


OpenEdition schlägt Ihnen vor, diesen Beitrag wie folgt zu zitieren:
Stadtarchiv Stuttgart (17. Januar 2025). „Wehrhafte Demokratie im Stuttgart der Weimarer Republik“ – Ein neues Forschungsprojekt am Stadtarchiv Stuttgart. Archiv0711. Abgerufen am 9. Februar 2025 von https://doi.org/10.58079/133kr


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.